Teil 1 - 2000
Erinnert sich noch jemand an die Zeit, als der Undertaker sein Totengräber-Gimmick überdurchschnittlich lang auf den Friedhof verbannte und sein Unwesen als patriotischer Biker trieb? Über eine Zeit, die von der WWE so gut es geht aus den Geschichtsbüchern ausradiert wurde.
Wir schreiben den 21. Mai 2000. Im Main Event von WWF Judgment Day stehen sich WWF Champion The Rock und Triple H in einem 60-minütigen Iron Man Match mit Shawn Michaels als Guest Referee gegenüber. Die Uhr tickt unerbittlich herunter und die Überreste der Corporation sowie der reaktivierten D-Generation X (zusammen die McMahon-Helmsley-Faction) greifen in das Match ein, um Triple H zum Titelgewinn zu verhelfen. Plötzlich erlischt allerdings das Licht der Arena, ein lauter Gong ertönt, mysteriöse kleine Mädchen in weißen Kleidern erscheinen auf dem Titantron und sagen mit schaurig schöner Stimme „Are you scared? He’s back from the dead“. Der Undertaker feiert sein offizielles Comeback – und fährt auf einem Motorrad die Rampe herunter, unter einem der lautesten Publikumsreaktionen, die ich jemals erleben durfte. Der Deadman ist nach langer Verletzungspause offiziell zurück im Geschäft, fortan allerdings als Biker – als „American Bad Ass“. Alle Superstars der Triple H Fraktion stürmen auf die Stage und kassieren die Tracht Prügel ihres Lebens.
Flashback: Das Jahr 1999 war sicherlich kein glorreiches für den Undertaker. Der Totengräber kämpfte mit etlichen verschleppten Verletzungen und zeigte im Ring keine besonders ansehnlichen Leistungen mehr. Nach dem SummerSlam des gleichen Jahres erlitt der Deadman eine Leistenzerrung und humpelte fortan zusehends durch den Ring. Dieses Handicap im Seilgeviert versuchte er durch mehr Mic-Work und mit Big Show als neuen Verbündeten, der oftmals für den Taker in den Ring stieg, wieder wett zu machen. Letztendlich musste der Undertaker aber eine kurze Auszeit von drei Monaten nehmen. Im September 1999 ermahnte Mr. McMahon on-air den Deadman, sein geplantes Casket Match gegen Triple H wahrzunehmen, da er ansonsten aus seinem Match bei Unforgiven gestrichen werden würde. Der Undertaker reagierte dünnhäutig und brüllte, dass ihm niemand etwas zu sagen hätte. Die Konsequenzen seien ihm egal und vielleicht würde er sowieso nie wieder für die WWF in den Ring steigen. In Wahrheit war dies der Vorwand für die angesprochene Auszeit, die im Dezember 1999 ihr Ende fand. Bei einer Houseshow in Caomo, Puetro Rico teamte der Taker, nach wie vor als Totengräber, zusammen mit Viscera, um Kane und The Godfather zu unterliegen. Zwar wurde der Undertaker als Attraktion auf dem Armageddon PPV-Poster abgelichtet, allerdings wurde sein Verletzungspech, neben der nach wie vor nicht wirklich auskurierten Leistenverletzung, durch einen Riss im Brustmuskel gekrönt. Das Ergebnis: Weitere rund fünf Monate Auszeit.
Ab diesem Punkt gilt es, Ursachenforschung zu betreiben: Während dieser Auszeit wurde intern offensichtlich der Entschluss gefasst, das Gimmick des Deadmans auf Eis zu legen und den Undertaker als Biker zurückkehren zu lassen. Zwar glänzte das „Ministry of Darkness“ Gimmick nicht nur durch das geniale Entrance Theme in meinen Augen durchaus, zwischen all den „realitätsnäheren“ Akteuren im Roster wie The Rock, Triple H und Steve Austin wirkte das im Prinzip immergleiche Auftreten des Undertakers in der Tat aber etwas überholt und – für einen Main Player – nicht mehr zeitgemäß. Der Taker verlangte, um authentischer zu wirken und dem Charakter eine generelle Auffrischung zu verpassen, als Biker in die Shows zurückzukehren. Auch in der „Realität“ ist Mark Calaway, so sein bürgerlicher Name, begeisterter Motorradfahrer, sodass in Sachen Gimmick nichts aufgesetzt wirken würde.
Ein von Kevin Nash verbreitetes Gerücht besagt, dass der Undertaker im Falle einer Ablehnung dieses Gimmicks durch Vince McMahon als „Ass im Ärmel“ in Verhandlungen mit der WCW gestanden haben soll, die durchaus bereits finale Züge besessen hätten. Um Copyright-Problemen aus dem Weg zu gehen, hätte der Undertaker sein Totengräber-Gimmick und selbst den Namen abgelegt, um fortan als Biker unter bürgerlichem Namen sein Unwesen in der WCW treiben zu können. Dies sind aber alles reinste Spekulationen und – bei allem Respekt – sollte man Shoot-Interview-Vize-König Kevin Nash (gleich hinter Jim Cornette) nicht jedes Wort glauben, da etliche Aussagen von „Big Sexy“ bereits durch mehrere Verantwortliche der jeweiligen Zeit widerlegt wurden (unter anderem seine vermeintlich erst im Februar 1999 gestartete Beschäftigung als WCW Headbooker). Ebenfalls gegen diese Theorie spricht, dass die WCW im Jahre 2000 bereits mehr als nur vor sich hinvegetierte und die Niederlage in den Monday Night Wars längst feststand. Von finanziellen Schwierigkeiten, dem Drunter und Drüber Backstage etc. möchte ich gar nicht erst anfangen.
„We had Taker close. All of a sudden he wasn’t the Deadman. He became the American Badass for a reason. That Deadman wasn’t going to f—kin‘ come to WCW. He would have been the biker character and gone by Mark Calaway. All along, I was trying to get guys money, and what happened was Vince started giving huge guarantees to the Shawns and Undertakers and those guys and said, ‚I can’t lose my core guys.'“ – Kevin Nash, Sports Illustrated Interview 2015
Wie dem auch sei: Der Gimmickwechsel des Undertakers war intern ab einem gewissen Zeitpunkt beschlossene Sache, sodass dem Comeback bei Judgment Day 2000 nichts mehr im Wege stand. Nach großartigen Reaktionen beim PPV an sich machte sich aber relativ schnell Ernüchterung breit. Aus kreativer Sicht zündete die kurzzeitige Involvierung in das McMahon-Helmsley-Geschehen sowie die gestarteten Fehden gegen Kurt Angle und Kane kaum, besonders desolat zeigte sich der Undertaker allerdings in Sachen körperlicher Verfassung. Mit etlichen Pfunden zu viel auf den Rippen und ordentlich Ringrost im Gepäck brawlte sich der einstig so agile Big Man behäbig durch seine Matches. Selbst die nicht mehr feierlichen Leistungen Ende 1999 wurden von Woche zu Woche unterboten. Gepaart mit seinem fragwürdigen Auftreten (der Taker vermied eng anliegendes Ring Gear und trug zumeist schlabbrige Jeans-Kutten oder Lederwesten) zog der „American Bad Ass“ den Heat der zu diesem Zeitpunkt heranwachsenden Internet Wrestling Community (die deutlich kritischer als heutzutage daherkam) und „Smart Mark“-Kritiker auf sich.
Retire now, you crippled, has been, slow-moving, fried-food eating, motorcyle-riding, no-selling, tobacco-chewing, no-money-drawing, talentless piece of selfish SHIT. Kurt Angle is the future, you are NOTHING. Deal with it. And take Kane with you when you go. I’m sure the idiot rubes will cry and Ask the Rick where you went again for six months the next time you leave, but I’ll be happy to see you gone for good, where you can’t drag down any more PPVs. – Scott Keith, Fully Loaded 2000 Review für 411MANIA
Bei Fully Loaded 2000 squashte der Undertaker Kurt Angle nach einer einseitigen Fehde in unter zehn Minuten aus dem Ring, nachdem der Taker zuvor sogar noch mit einem Rohrschlüssel attackiert wurde. Dieses Match steht stellvertretend für den „Hass“, den der Deadman bei den selbsternannten Smart Marks erzeugte. Schnell handelte sich der Taker den weniger vorteilhaften Ruf ein, sich für niemanden hinzulegen, trotz seines großen Namens und mieser In-Ring Performance. Die gängigen Bezeichnungen in diversen Internet-Foren für den Undertaker lauteten zum Beispiel „American Fat Ass“ – und das war noch eine der weniger beleidigenden. Ich möchte diese Aussagen weder bewerten, noch verteufeln oder unterstützen. Vermutlich musste Kurt Angle, der in der IWC als der neue Top-Star angesehen wurde, einfach nur Lehrgeld zahlen – wie so viele Akteure vor und nach ihm auch. Dennoch fasst diese ganze Geschichte die damalige Stimmung gegenüber dem Undertaker gut ein. Seine späteren Auseinandersetzungen im Rahmen der Invasion-Storyline gegen u.a. DDP und Chris Kanyon lieferten weiteren Nährboden und untermauerten seinen damalig bescheidenden Ruf.
Die Anfangsphase des neuen Gimmicks verlief also – diplomatisch formuliert – holprig. Erst deutlich später sollte sich der Run als „American Bad Ass“ und allen voran „Big Evil“ als durchaus sehenswert entpuppen. Allerdings liegt noch das Jahr 2001 dazwischen, das zwar stark für den Taker begann, aber ebenso stark wieder abflachte.
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